Dienstag, 8. Mai 2012

Newsletter 06: Jesus loves me

Meine Lieben,

es ist 4 Uhr morgens nach der III. Chemo und ich liege wach. Deshalb fange ich mal an meinen neuen Newsletter zu schreiben. Aber Achtung, der wird wieder lang....

Was seither geschah :o)
Wo fange ich an? Also als Erstes muss ich euch von meiner neuen Perücke erzählen. Keine einfache Sache. Bei der Anprobe hab ich erfahren, dass die Krankenkasse nur 380 € für das Teil übernimmt. Die Kosten für die Haarpracht liegt aber bei 400-800 €. Je nachdem, welches Modell mir steht, muss ich also einiges dafür bezahlen. Ich hab dann alles ausprobiert von langen bis kurzen Haaren. Die kurzen Haare gingen ganz und gar nicht, weil ich damit aussah, wie ich mit 15 Jahren. Die langen Haare sind im Sommer eher unpraktisch und pflegeintensiv. Kurzum, ich habe eine halblange Frisur ausgesucht, mit der Vermutung, dass ich sie doch nicht so oft tragen werde, da ich mich schon so sehr an das Tuch gewöhnt habe. Wegen dem Preis, war ich dann aber doch nervös und siehe da- mein Haarschopf hat gerade mal 388 € gekostet!!!
Das hat mich doch sehr beschwingt. Wie ich damit ankomme? Dominik hat immer ein Grinsen auf dem Gesicht, wenn er mich damit sieht, meine Nichte mag sie lieber als das Tuch und ich traue mich damit nicht auf die Straße, nur, wenn mich niemand kennt. Also hab ich sie zur nächsten Chemo angezogen. s.h. unten

Kleine Episode: bisher habe ich Louis meinen Anblick ohne Tuch so gut es geht erspart. An einem Morgen hat er mich aber unter der Dusche erwischt und mich ganz erschreckt angeguckt: "gell die Chemozwerge haben deine Haare gefressen!" Er hat mich dann zweimal gefragt, ob ich das Tuch wieder anziehe. Als es ihm nicht schnell genug ging, hat er sogar "bitte" gesagt.

Vor zwei Wochen hatte ich eine Kontrolluntersuchung bei meinem Professor. Der Tumor ist schon auf 5X6 mm geschrumpft. Das heißt die Chemo schlägt wunderbar an. Damit man die Stelle wiederfindet, falls der Tumor ganz verschwindet, wurde mir wieder mit einer dicken Nadel ein Metallblättchen in die Brust geschossen (habe wieder das F-Wort benutzt). Ich weiß nicht, wei oft ich schon vorher den Ärzten gesagt habe, dass örtliche Betäubungen bei mir nur in "HOHER" Dosis wirken. Reaktion: " was das spüren sie noch?" -"ehm, jaaaa, F....."

Einige von euch haben mich gefragt, warum die Chemo denn weiter gemacht wird, auch wenn der Tumor ganz verschwinden sollte.
Also, der Tumor ist zwar in meiner Brust, aber er kann sich schon über die Lymphbahnen und die Blutwege verbreitet haben. Dass die Wächterlymphknoten nicht befallen sind und auch noch kein Organ, schließt das leider nicht aus.
Um das Risiko zu minimieren, wird die Chemo gemacht.
Rein statistisch besteht ein erhöhtes Rückfallsrisiko, wenn nur einer der fünf Fälle zutrifft (deshalb wird dann in jedem Fall Chemo gemacht):
- wenn die Frau unter 35 Jahre alt ist
- wenn der Tumor größer als 1 cm ist (bei mir 1,5 cm)
- wenn der Tumor aggressiv ist (bei mir sehr hoch-g3)
- wenn wenn der Tumor nicht-hormonell ist (bei mir der Fall)
- wenn die Lymphknoten nicht befallen sind

Ich hatte die Chemo diesmal auf den Montag verschoben, weil ich das mit dem Wochenende immer so schwierig fand und so Louis im Kindergarten versorgt ist und die Dorfhelferin sich um Jael kümmern kann.
Der Tag fing gut an: Der Taxifahrer ist nicht erschienen und saß noch vor seiner Zeitung als ich anrief. Dann wurde in der Voruntersuchung festgestellt, dass ich 37,7 Grad Temperatur hatte. Deshalb musste noch mal Blut abgenommen werden und ich durfte 1,5 Stunden noch mal "Platz nehmen". Im Wartezimmer wurde es schon bald gesprächig, so dass ich nicht mehr in meinem Buch weiterlesen konnte. Eine Dame aus Stuttgart ist mit ihrem Herren angereist und hat lautstark von ihrem Leidensweg erzählt. Der guten Frau wurden 2,5 kg Tumormasse rausgeschnitten. Der Bauch war total verkrebst. Aber jetzt ist sie wohl über den Berg. Die beiden anderen Frauen sind nach zwei Jahren wieder hier, weil Metastasen gefunden wurden. Die relativ junge Frau neben mir hatte beim ersten Mal auch keinen Lymphknotenbefall. Alle sind sich einig, dass der Krebs leider ein lebenslanger Kampf ist und nicht mit einem Mal erledigt ist. Für mich waren die Gespräche sehr ernüchternd- auch als lautstark über die unnatürlichen Perücken hergezogen wurde (meinen die mich? ;o). Naja, die Prognosen bestärken mich in meinem Vorhaben, nach der ganzen Therapie mind. 3-5h die Woche Ausdauersport zu betreiben, das senkt das Rückfallsrisiko wohl enorm. Ich bin auch die letzten zwei Wochen jeden Tag eine Stunde gelaufen und bin mitgewandert, damit ich fit bleibe (immerhin ist eine Nebenwirkung der Chemo, dass man bei jedem Zyklus 1 kg zunehmen soll! Schade, dass die Chemo-Zwerge keine Fettzellen fressen ;o).
Zurück zur Chemo- mein geliebter Assistenzarzt ist heute nicht mehr da (schade- denn diesmal hätte ich zu ihm gesagt, dass er beim Händeschütteln mal richtig zupacken soll) dafür seine Ablösung- genauso jung, dafür weiblich und blond. Hab mich aber zu früh gefreut, denn sie hat anscheinend noch keine Erfahrung damit eine Infusionsnadel in den Port einzuführen. Bis sie fertig war, standen mir die Tränen in den Augen und ich musste mir eine Schmerztablette geben lassen.
So also, der erste Tag ist gut überstanden, ich bin wieder schlapp und mir wird schlecht, wenn ich zu lange aufstehe. Meine Cortisonbäckchen sind wie immer rosig und rund. Und ich liege wach-

Die beste Nachricht von gestern habe ich euch noch vorenthalten. Dazu muss ich leider noch mal etwas ausholen. Bei meinem Klinikaufenthalt hatte ich ja ein Gespräch mit dem Psychologen, der mir den unbedingten Rat gab, mir schon bald einen Lebenstraum zu erfüllen, der mir auch während der Therapie gut tut. Überleg, überleg...
Mein größter unverwirklichter Traum ist es eine kleine Töpferwerkstatt zu haben. Diesen Traum wollte ich mir evtl. in den nächsten 10 Jahren erfüllen, wenn wir wieder bei Kasse sind und ich mehr Zeit habe. Spaßeshalber habe ich dann aber doch bei Ebay wieder einmal nach einer Drehscheibe geschaut und siehe da- eine super Drehscheibe von meiner Wunschmarke zur Selbstabholung bei Köln gefunden. Meine Schwägerin studiert in Köln, es hat keiner mitgeboten- deshalb kam ich völlig unverhofft und günstig zu meiner Drehscheibe. Habe die letzten zwei Wochen in den Schlafpausen von Jael getöpfert und bin glückselig :o)))
Aber wo das Zeugs brennen? Ich müsste es nach Freiburg zum Vorderhaus (Keramikwerkstatt) transportieren und dann dort glasieren. Etwas umständlich- aber machbar.
Vor zwei Wochen rief mich meine Schwiegermama aufgeregt an, sie hätte in der Zeitung einen Brennofen gesehen- sie ruft mal an. Kurzum, das Teil kostete stolze 3000 €, da es sich um eine Luxusvariante für einen Hoppytöpferer handelt, nur selten für Therapiezwecke gebraucht und gerade 10 Jahre alt. Schön und gut. Ich musste dann erst einmal meiner Schwiegermama klar machen, dass wir im Moment nicht das Geld für sowas haben, auch wenn das Teil nur 500 € kostet. Mein Schwiegerpapa wollte ihn aber trotzdem mal anschauen..
Am Sonntagabend saß ich auf dem Sofa und träumte wieder mal davon, wie das wäre hier selbst brennen zu können. Ich schickte Gott ein kleines Gebet und ladete meinen Wunschzettel bei ihm ab.
Montag morgen- 5 Minuten vor der Abfahrt, rief meine Schwiegermama wieder an. Sie war ganz aufgeregt und erzählte mir, dass sie nochmals bei der Frau angerufen hat, um zu sagen, dass wir den Brennofen jetzt nicht kaufen, da meinte die gute Frau: "Wissen sie was- ich schenke ihn Ihnen! Der steht hier rum und ich brauche den Platz!"
Das ist doch der OBER-KNALLER!!!!!!!!!!!

Ich muss euch sagen, dass ich auch in den letzten drei Wochen so viel Schönes erlebt habe, die ganzen Briefe, jede Woche einen Umschlag ohne Namen und Geld darin, einen Zoobesuch in Karlsruhe und einen geschenkten BRENNOFEN. Ich freue mich einfach jeden Tag und merke, dass viel gebetet wird. Ich habe von unserem Pastor vor der erste Chemo einen Losvers bekommen, den er im Gebet gezogen hat. Psalm 28,7: Der Herr ist meine Stärke und mein Schild; auf ihn hofft mein Herz und mir ist geholfen! Mein Konfirmandenspruch kommt mir auch immer wieder in den Sinn: Seid alle Zeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen, denn das ist der Wille Gottes.1. Thessalonicher 5,16 Dazu bleibt mir nur ein "Amen" zu sagen.


Jesus loves me
Kerstin

ps. wer mich in den nächsten Wochen/Monaten mal besuchen wollte, kann
sich am Besten ein/zwei Tage vorher melden. Dann weiß ich, ob ich fit
und ihr gesund seid ;o) diese Woche aber nicht.