Samstag, 13. Oktober 2012

Newsletter 11: Das dicke Ende vom dicken Ende



Meine Lieben,

wird mal wieder Zeit, dass ich die letzten sechs Wochen aufarbeite und diesmal ganz der Reihe nach:

Die Chemo verlief an jenem Freitag nach Plan (nur 80 %-Dosis) so dass ich am Freitag zuhause noch das Chaos der Woche beseitigen und am Samstag packen konnte. Am Abend waren wir noch auf einem Grillfest bei Nachbars eingeladen und um 24 Uhr sollte es losgehen in den Norden.

Die Fahrt verlief soweit gut, so dass wir schon um 9:30 Uhr in Büsum am Strand saßen, das Wattmeer vor unseren Augen. Louis konnte nicht begreifen, dass das der Strand sein sollte von dem wir ihm immer vorgeschwärmt hatten. Nachdem ich ihn darüber aufgeklärt hatte, dass es sich bei den Erdhügelchen um Kacka von Wattwürmern handelte, konnte er sich nicht mehr für das Watt begeistern.

Am Nachmittag holten wir in St. Peter Ording den Schlüssel zur Ferienwohnung und räumten erst mal ein. Ich war hundemüde, hatte Kopfschmerzen durch den Schlafmangel und konnte mich kaum noch aufrecht halten. Als ich den Kulturbeutel auspackte viel mir der Fieberthermometer in die Hand und ich steckte ihn mir spasseshalber mal in den Mund: 38,2 Grad, uuups, oh nein! Was jetzt? Das kommt bestimmt noch von der Chemo oder der Anstrengung des letzten Tages. Insgeheim habe ich mich über meinen Dickkopf geärgert, dass ich nicht auf die Ärzte gehört habe. Ich entschied mich erst einmal Ruhe zu bewahren, zu beten und ins Bett zu gehen. Am nächsten Tag war das Fieber weg! Ich richtete den Frühstückstisch und die Geschenke für Louis. Die größte Überraschung des Tages war dann aber leider, dass Louis Fieber bekam und den halben Geburtstag auf der Couch verschlafen hat. Ich ging mit Jael in der Zeit Busfahren: St. Peter Ording rauf und wieder runter.....

Dienstag hielt das Fieber noch an und am Mittwoch bekam Jael Fieber so dass wir den halben Nordseeurlaub in der Ferienwohnung vor dem Fernsehen oder im Kinderhaus verbrachten. Das Wetter war eh nicht so prickelnd. Einmal waren wir in Ording am Strand und haben Drachen steigen lassen, so lange bis Jael wieder Fieber bekam. Insgesamt hatten wir aber trotzdem Freude an unserem Gammeldasein vor der Glotze.

Wieder vollständig regeneriert fuhren wir am Sonntag darauf an die Ostsee. Am Weissenhäuserstrand war es dann sehr kalt, so dass wir die meiste Zeit im Erlebnisbad verbrachten und leider nicht am Strand. Einmal waren wir in einem Eselpark und haben uns für eine Stunde eine Eselkutsche gemietet. Der Esel lief genau bis vor die Hofeinfahrt und nicht mehr weiter. Wir also auf die laminierte "Gebrauchsanweisung" geschaut:" Bitte den Esel nicht schlagen und nicht zu sehr ziehen und schon gar nicht füttern." Ich habe also mein Bestes versucht, dann kam Dominik an die Reihe. Nix ging und ich werde das Bild nie vergessen, wie Dominik mit allen Mitteln versucht hat den Esel von der Straße abzudrehen, damit der Linienbus durch konnte. Es war einfach nur zu komisch. Dann kam der Eselpfleger mit dem Radel um die Ecke, rief nur ein ermunterndes "Sina, hopp" und schon sprang der Esel los- so lange bis der Pfleger wieder ums Ecke war. Ah, so einfach geht das also. Wir haben dann also angefangen gut auf die Sina einzureden (die Nachbarn mussten uns für bekloppt halten)- egal, als eine halbe Stunde um war und wir gerade mal 30 m geschafft hatten wurde es mir zu blöd und ich packte meinen Apfel aus der Tasche und hielt ihn dem Esel bis zum Schluss unter die Nase. So haben wir doch noch eine Strecke zurück gelegt. Den Apfel hat die liebe Sina allerdings nicht mehr bekommen.

Gut, das war also unser Urlaub. Wir haben feststellen müssen, dass er leider nicht so erholsam war, dafür hatten wir eine gute Zeit als Familie. Die Erholung konnte ich ja dann im Krankenhaus nachholen. Schon am Dienstag wurde ich vorstationär aufgenommen und am Mittwochmorgen operiert. Dank meiner Rollvene hatte ich die schlimmsten Schmerzen, bis sie meinen Zugang gelegt hatten. Alles lief soweit gut. Ich bin gleich nach dem Aufwachen im Zimmer zum Topf spaziert und habe einen Apfel gegessen- hab mir nichts dabei gedacht. Die Schwester fand das später dann nicht so lustig und guckte mich nur ungläubig an.

Das Gesamtresultat sah im Grunde auch nicht schlecht aus, da der Tumor ja mehr unter der Achselhöhle als in der Brust lag.

Hier in der Frauenklinik wird gerade saniert. Ich lag im letzten Zimmer, hinter meinem Kopfende die Baustelle. Manchmal war es zu laut zum telefonieren und Fernsehschauen. Meine Zimmernachbarinnen kamen bald drüber raus- was mich dann schon fast amüsierte.

Apropos ich muss euch noch von Susanne erzählen. Susanne kenne ich aus unserer Gemeinde und sie gehört zum Freundeskreis meiner Eltern. Susanne hatte vor 5 Jahren die selbe Diagnose wie ich, weiter fortgeschritten zwar, aber eben gleiche Krebsart. Sie habe ich, als einige der Ersten, nach meiner Diagnose kontaktiert und um Rat gefragt. Sie hatte mir die Kontaktdaten von ihrem Operateur gegeben und zur Uniklinik geraten, wo ich schließlich auch gelandet bin. Als ich dann in der Uni zu meinen OP-Vorbereitungen war, mit meinem Laufzettel in der Hand, lief mir wieder Susanne über den Weg, die wegen ihrer Nachsorge in der Klinik war. Und als ich dann einige Tage nach der OP am Bahnhof stand, um mir in Freiburg den Port implantieren zu lassen, fuhr sie zufällig auch in die Stadt und klärte mich erst einmal darüber auf, dass mir heute eine richtige OP bevorsteht und was ein Port überhaupt ist. Ich war völlig unvorbereitet und dankbar für die Vorwarnung . Susanne kam während der Chemozeit immer wieder bei mir vorbei . Während der EM hatten wir während einer Liveübertragung auch mal ein gutes Gespräch über meine Ängste und wie sie mit ihren umgeht. Das hat mir sehr weiter geholfen. Ich bin der Überzeugung, dass nichts zufällig ist und so hat es Gott auch geschenkt, dass wir beide zur selben Zeit operiert werden sollten. Susanne hatte in diesem Sommer wieder starke Beschwerden, diesmal an der anderen Seite, so dass ihr ein Teil der Milchgänge entfernt werden mussten. Gott sei Dank- wissen wir heute, dass die Befunde gutartig waren. Tja, so lagen wir dann zusammen im Zimmer. Halb Ihringen war hier und am Freitagabend gab es zur Ibuhexaltablette auch noch Pizza und Rotwein- lange nicht mehr so gut geschlafen. Am Samstag durfte ich dann heim. An Susanne sehe ich, was ein Leben mit Krebs bedeutet: ein Auf und Ab, aber es auch so zu nehmen, wie es kommt und dankbar zu sein für jedes gesunde Jahr, das wir erleben dürfen.

So, jetzt habe ich wieder die Gabi für 8 Stunden am Tag, weil ich 3 Wochen nicht schwerer als 1 kg heben darf. Mit den Kindern wird es bei jedem Mal schwieriger. Louis und Jael haben immer mehr Trennungsängste und ich wäre froh, wenn langsam etwas Ruhe einkehren würde. Allerdings hatte ich 14 Tage nach der OP (diesen Mittwoch) dann einen Termin am Münsterplatz zur Wundkontrolle und Befundbesprechung. Die Ärztin sagte gleich, dass es gut war, dass sie operiert hätten, da tatsächlich noch Krebszellen im Gewebe vorhanden waren. Leider wurden in 2 Rändern(0,5 cm Sicherheitsabstand) noch veränderte Zellen gefunden, so dass ich nochmal operiert werden muss! Damit hatte ich gar nicht gerechnet! Ich hatte die Wahl zwei Wochen zu warten oder gleich am nächsten Tag operiert zu werden. Trotz Herbsttrubel Zuhause entschied ich mich für den nächsten Tag, weil sonst auch die Bestrahlung zu sehr in die Weihnachtszeit rutscht. Statt in die Stadt zum Bummeln musste ich anschließend wieder den halben Tag in die Uni fahren und die Voruntersuchungen und das Anästhesiegespräch über mich ergehen lassen.

Tja, und so liege ich heute (Freitag) wieder in der Frauenklinik, Station Hegar. Diesmal bin ich nicht ganz fit nach der Narkose und torkel durch die Gänge. Bin schon gespannt, was sie diesmal übrig gelassen haben bzw. wie groß das Loch ist. Warten wir mal ab, bald weiß ich mehr.

Heute (Samstag) geht es mir schon viel besser. Die Wunde sieht ganz gut aus, so dass die Drainage heute raus kann und ich morgen nach der Visite heim kann. Dank meines „Verhandlungsgeschicks“ (der Arzt verdreht schon die Augen) könnte ich auch heute Abend noch die Koffer packen oder morgen vor der Visite abhauen. Morgen ist in der Gemeinde das Erntedankfest, das mag ich nicht verpassen.

Wenn ich nicht nochmal operiert werden muss, bekomme ich in den nächsten 3-6 Wochen die erste Bestrahlung.

Bis dahin wünsche ich euch einen leuchtenden Herbst

Kerstin

Ps. Meinen hässlichen Tiefpunkt habe ich zum Glück überwunden und die Wimpern und Augenbrauen wachsen nach. Ich hoffe nur noch, dass das Haar auch dichter wird und nicht so licht bleibt wie bisher.

Sonntag

Konnte tatsächlich gestern abend noch das Weite suchen, als eine blutende Frau mit kleinem Baby eingeliefert wurde. Ich zeigte meine mitleidige Seite und bot dem Ehemann mein Bett an. Letztendlich waren die Familie und K-Schwestern ganz glücklich über mein Angebot und erst recht ich selbst. Adieu Krankenhaus- hoffentlich auf nimmer Wiedersehen!