Meine Lieben,
das Jahr neigt sich dem Ende zu und Weihnachten steht vor der Tür.
In den letzten Wochen habe ich durch meine Schreiberei immer wieder auf
das Jahr Rückschau gehalten und bin jetzt doch ein wenig wehmütig. Gabi
ist nur noch diese Woche da und daran hab ich echt zu knabbern. Nicht
wegen dem Haushalt, es ist mehr so, dass wir uns schon so aneinander
gewöhnt haben und dass ich Ihre Gesellschaft sehr genossen habe. Ich
zerbreche mir den Kopf, was ich ihr zum Abschied schenken kann, was
annähernd ausdrückt, was sie mir in dem Jahr bedeutet hat. Nicht
auszudenken, wenn ich die erste Dorfhelferin behalten hätte....
Weihnachten fiebere ich genauso entgegen wie Louis, denn am Samstag
hab ich die letzte Bestrahlung. Die Narbe ist mittlerweile eine offene
Wunde und brennt, wenn sich meine Kleider daran reiben. Fkk wäre jetzt
eine tolle Sache.
Die Therapie ist jetzt fast geschafft und jetzt, wie geht es weiter?
Ich merke, dass ich in letzter Zeit doch öfters über den Grund meiner
Erkrankung grüble. Wenn ich wüsste, warum ich Krebs bekommen habe,
könnte ich ja vielleicht etwas in Zukunft ändern. Keine der
Risikofaktoren für Brustkrebs treffen auf mich zu, weshalb ich eine
genetische Beratung in Anspruch genommen habe. Tatsächlich könnte ein
Gendefekt der Grund sein. Gewissheit habe ich erst nach einer
Blutuntersuchung, die ich im neuen Jahr durchführen lasse.
Im Januar werde ich voraussichtlich noch krank geschrieben und den
Februar nehme ich mir noch frei. In der Zeit werde ich Jael in der Kita
eingewöhnen, ein bisschen Töpfern und mein Buch weiter schreiben. Einige
Arzttermine stehen auch noch an.
Heilig Abend feiern wir als Familie Zuhause und Silvester sind wir
bei meiner Schwester. Wir gehen dann am Abend in den Gottesdienst und
ziehen wieder die Losverse für das nächste Jahr. Vor einem Jahr war ich
noch total ahnungslos, was 2012 auf mich zukommen würde. Ich habe damals
einen Vers aus 2. Mose 15,2 gezogen:
"Der Herr ist meine Stärke und mein Lobgesang und ist mein Heil"
darunter stand ein Vers von Ludwig Andreas Gotter
"Herr, verleih mir Stärke, verleih mir Kraft und Mut; denn das sind Gnadenwerke, die dein Geist schafft und tut."
Mir kommen die Tränen, wenn ich das schreibe, denn genau das habe
ich in diesem Jahr erlebt. Der Vers steht im Zusammenhang mit dem Auszug
der Israeliten aus Ägypten durch das Schilfmeer, wo Gott ein
Riesenwunder getan hat. Die Israeliten singen Gott ein Lied, aber schon
ein Kapitel später beginnen sie zu murren, weil sie hunger haben. Die
alltäglichen Sorgen lassen sie die Größe Gottes vergessen. Gott aber
lässt Manna und Wachteln vom Himmel regnen und versorgt sein Volk, weil
er es so versprochen hat. So geht es 40 Jahre hin und her zwischen
Murren und Danken, bis Gott sie aus der Wüste ins verheißene Land führt.
Gott führt uns manchmal in die Wüste, aber er lässt uns keinen Tag
allein. Ich habe in dem Jahr gelernt, ihm in großen Sachen zu vertrauen,
was ich noch mehr lernen will ist, auch im Alltag nicht zu schnell zu
verzweifeln und zu murren und ihm auch die kleineren Sorgen zu
überlassen.
So wünsche ich Euch für das Weihnachtsfest und das kommende Jahr den
Segen und den Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft ;o)
Ich danke euch fürs Lesen, Mitfiebern, Mitbeten und für eure ermutigenden Worte im letzten Jahr.
Eure Kerstin
Donnerstag, 20. Dezember 2012
Dienstag, 4. Dezember 2012
Newsletter 12: Die Bestrahlung
Meine Lieben,
ich sitze gerade wieder in meinem Chemotaxi (jetzt: Bestrahlungstaxi) mit aktueller Schlagermusik. Seit ich jeden Tag fahren muss hab ich das Notebook dabei und schreibsel vor mich hin. Ich lasse das Jahr nochmal revue passieren.
Die zweite OP habe ich insgesamt gut überstanden. Die Wundheilung war diesmal sogar noch schneller. Kaum war ich eine Woche Zuhause war ich am Wochenende schon wieder beim Notdienst, wegen einer Blasenentzündung. Also wieder Antibiotikum schlucken. Drei Wochen später hatte ich von einem auf den anderen Tag eine Mittelohrentzündung und musste schon wieder zum Notdienst, der mir wieder Antibiotikum verschrieb. Das ist jetzt drei Wochen her. Zwar hör ich auf dem linken Ohr im Moment noch wenig, aber ich dachte jetzt hab ich es mal geschafft und mach mal wieder Sport. Seit dem Wochenende hab ich Halsschmerzen, Schnupfen und seit heute Nacht Husten. Muss ich jetzt schon wieder zum Arzt? Morgen hab ich nochmal Hörtest und am Donnerstag muss ich mit meinen Kindern zum Impfen und mit Louis zum Augenarzt. (kurze Bestrahlungspause- 10 Minuten später:) Wie ihr seht, bin ich neben der Bestrahlung voll beschäftigt. Ansonsten hüpfe ich als Schneemann im Kinderturnen umher (Nikolausfeier lässt grüßen) oder organisiere das ein oder andere "Event". Die Weihnachtsbäckerei hab ich kurzfristig wieder eingestellt, nachdem Louis genau 10 Ausstecher machte und ich am Ende mit mehlbestäubter Jael und zwei Händen zuviel (oder meinerseits zu wenig) nichts rechtes mehr zustande brachte.
Bestrahlung:
Vor zwei Wochen hatte ich wieder einmal ein Aufklärungsgespräch. Ich war ganz beschwingt, nach der OP jetzt auch diese letzte Hürde in Angriff zu nehmen. Bestrahlung soll ja nicht so schlimm sein. Ein bisschen Müdigkeit und Sonnenbrand. Ich saß im Wartebereich mit einer spannend bunten Zeitschrift, da kam die Ärztin, und meinte im Vorbeigehen "Mitkommen"! Im Sprechzimmer setzte ich mich ihr gegenüber an den Tisch. Sie begrüßte mich nicht einmal und schrieb in ihren Computer. Irgendwann fing sie an: "Wurden Sie schon zu Bestrahlung aufgeklärt?" Ich: "nein"(deshalb bin ich doch da!) "Na, dann müssen wir das halt auch noch machen." Dann erzählte sie mir in einem Leierton, wie die Bestrahlung abläuft. Ich musste meinen Oberkörper frei machen und auf eine Liege sitzen. Im nächsten Moment war sie durch die Tür verschwunden, die Tür stand aber sperrangelweit auf. Jeder auf dem Flur hätte mich sehen können! Dann war sie wieder da, ich musste mich hinlegen und sie machte Fotos von mir und setzte sich wieder an ihren PC. Ich lag weiter halb nackt auf der Liege. Nach einer gefühlten Ewigkeit fiel ihr wohl ein, dass ich immer noch dalag und ich durfte mich anziehen.
Bei den Nebenwirkungen hatte sie es mit der Grammatik nicht so ganz drauf. Sie sprach zwar deutsch, aber mit Akzent. Statt zu sagen, das und das könnte passieren sagte sie immer das und das "wird" passieren. Zum Beispiel "werde" ich eine stehende Brust bekommen, als ob ich ein Implantat drin hätte. (Aha?) Dann "werde" ich braune Flecken bekommen. Ich müsste dann halt schauen, dass ich einen Bikini finde, der das Meiste verdeckt. (Okay?) Außerdem ist die Strahlentherapie selbst krebserregend. Ich werde in 20-30 Jahren höchstwahrscheinlich wieder an Krebs erkranken, aber nicht in der Brust sondern in den Bronchien oder in der Leber.(Okaaaay???). Kurze Frage: "Wieso mach ich die Bestrahlung überhaupt????" Antwort: "Wir wollen den Krebs bekämpfen, den sie aktuell haben, was in den nächsten Jahren sein wird, weiß der liebe Gott." "Und was, wenn ich auf die Strahlentherapie verzichte?". "Dann haben sie eine Risiko von 50 Prozent, dass der Krebs wieder kommt." Jetzt begann sie unglaubwürdig zu werden, außerdem gab sie mir das Gefühl, dass sie von "mündigen" fragenden Patienten nicht viel hielt. Als sie dann wegen der Verordnung für das Taxi auch noch blöd machte und mich einfach nur für zu bequem hielt, war es bei mir vorbei.
Zuhause musste ich das Gespräch erst wieder verdauen. Ich holte mein schlaues "Überlebensbuch Brustkrebs" und las nach, was die Statistiken zur Bestrahlung sagten. In meinem Fall bringt mir die Bestrahlung gerade mal 15 Prozent mehr Überlebenschancen. Ich geb normalerweise nicht so viel auf Statistiken, aber in dem Fall ging es mir einfach nur darum, dass die Ärztin mich anscheinend für blöd genug hielt, ihr zu glauben. Daran, dass die Strahlentherapie selbst so krebserregend sein soll, hatte ich noch länger zu knabbern und auch keine Statistik gefunden.
Wegen dem Taxi suchte ich meinen Gynäkologen auf, der mir sofort die Verordnung ausstellte. Hätte ich mit dem Zug fahren müssen, wäre ich jeden Tag 2h und 15 Minuten unterwegs gewesen und hätte Rücken an Rücken oder Rücken an Bauch oder Bauch an Bauch mit anderen schniefenden Menschen gestanden- gute Idee!
Gut, beim nächsten Termin wurde ich eingezeichnet und tätowiert. Insgesamt waren es nur 15 Stiche, ganz mini kleine Punkte an sehr empfindlichen Stellen. Damit sie nicht auffallen hatten sie braune Tusche gewählt. Ich war zufrieden. Allerdings sollte die Zeichnung auf meinem Oberkörper eine Woche halten. Schon am Abend war die Hälfte der Sudelei an meinem Top und eine Woche später war kaum noch was zu sehen. Am CT wurde dann eine erste Simulation durchgeführt und am nächsten Tag sollte ich die erste Bestrahlung bekommen. Meine Bestrahlungstermine sind jetzt jeden Tag um 8 Uhr. Das ist am Morgen etwas stressig, dafür bin ich meistens schon um 8:30 Uhr wieder Zuhause.
Ok, ich komme an und darf gleich als Erste in die Umkleidekabine und den Oberkörper frei machen. Dann spaziere ich mit einem Tüchlein bedeckt in den Bestrahlungsraum und darf mich auf die Bank legen. Dann werde ich an verschiedenen Stellen geschoben und gedrückt, bis ich richtig plaziert bin. Die Bestrahlung selbst dauert ca. 5 Minuten. Mir ist da immer sehr kalt. Kein Wunder, dass ich mit den Leuiten nicht so recht warm werde. Bei den ersten Malen hatten sie Schwierigkeiten meine Tätoos zwischen meinen Leberflecken zu unterscheiden. Zum Schluss standen drei Leute mitsamt Ärztin da und diskutierten, welches die richtigen Punkte sind. Ich hatte zweimal gesagt: "Ich weiß, welches die Punkte sind, ich zeig`s Ihnen!" Das kam leider nicht so gut an, denn ich bekam gleich eine schnippische Antwort: "Das machen wir lieber selber!".
Mittlerweile halte ich mich daran, nur noch "Hallo" und "Tschüß" zu sagen, für Spässle sind die hier nicht zu haben. Ich hab meine Habseligkeiten für die Bestrahlung jetzt in eine Stofftasche des Diakoniekrankenhaus gepackt und laufe damit durch die Gänge. Ein bisschen Konkurrenzdenken kann in dem Laden nicht Schaden.
Jeden Freitag habe ich noch ein Arztgespräch. Diesmal hatte ich mich gewappnet und wollte die Ärztin wegen der Statistiken zur Rede stellen. "Leider" war SIE heute verhindert und eine junge Ärztin vertrat sie. Kurzum, die war nicht so abgebrüht, wie die erste und sie bestätigte mir, dass das mit den 50 % nicht stimmt. Deshalb nahm ich meinen Mut zusammen und fragte, ob sie mich nicht weiter betreuen kann. Und es Klappte! Bin so froh!
Jetzt habe ich schon 11 von 30 Bestrahlungen hinter mir und schaffe es vielleicht noch vor Weihnachten fertig zu werden. Mittlerweile wird die Haut ganz leicht gerötet, ansonsten bin ich nur müde. Wenn ich aber so in die Gesichter schaue, geht es vielen so bei so viel Novemberrain.
Manches was sich geschrieben so positiv anhört, war für mich in dem Moment nicht so witzig. Erst im Nachhinein kann ich viele Dinge leichter sehen und mich über manche Situationen sogar amüsieren. Das ist das heilsame beim Schreiben, denke ich.
Mein Äußeres
Seit Mitte Oktober bin ich oben ohne unterwegs und habe meiner Perücke und den Tüchern Adee gesagt. Ich muss sagen, dass mir die kurzen Haare ganz gut gefallen. Die Haarfarbe ist noch etwas undefiniert, kann man aber tönen. Dominik findet, ich sehe aus wie eine "Emanze". Damit hat er mir wahrscheinlich ungewollt ein Kompliment gemacht. Meine Cortisonpfunde bin ich auch schon wieder los geworden (6 kg in 3 Monaten) so dass ich mich in meiner Haut und meinen Haaren wieder richtig wohl fühle. Ein Außenstehender hält mich wahrscheinlich eher für eine "Emanze" als für eine Frau, die gerade Chemo hinter sich hat. DIe OP hat mich jetzt auch nicht entstellt.
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