Als der Krebs in unsere Familie Einzug hielt

Habe ich etwa Krebs?
Es ist Samstagabend, die Kinder waren endlich im Bett und mir wäre es nach einem gemütlichen Abend mit meinem Mann auf dem Sofa gewesen. Wir hatten heute, wie die letzten Wochenenden zuvor, an unserem Dach gearbeitet, das wir gemeinsam mit einer Zimmerei im Januar saniert hatten. Heute hatten wir alles soweit fertig, so dass das Gerüst demnächst abgebaut werden konnte. Wir hatten unser Haus im Mai letzten Jahres gekauft und mit Hilfe unserer Familien innerhalb von vier Monaten komplett saniert. Jeden Tag waren wir auf der Baustelle gewesen. Ich war derzeit auch noch hochschwanger und sollte im August unser zweites Kind bekommen. Alles ein bisschen viel und im Nachhinein unbegreiflich, wie wir das alles geschafft hatten. Am 7. August kam unser Mädchen Jael auf die Welt und am 10. September feierten wir den 3. Geburtstag unseres Sohnes Louis schon im neuen Heim.

Jetzt war es schon Ende Februar 2012 und ich freute mich auf den bevorstehenden Frühling. Nächste Woche hatte Dominik noch frei und wir wollten den Garten in Angriff nehmen und umgestalten.

Doch aus dem gemütlichen Sofaabend wurde nichts, es waren nämlich Frauentage in unserer Gemeinde. Da ich am Morgen schon nicht auf das Frauenfrühstück gehen konnte fühlte ich mich verpflichtet, mich wenigstens am Abend mal blicken zu lassen. Das Thema lautete "Stürme des Lebens"


Ich war in den letzten Wochen sehr unruhig, da ich Anfang Januar beim Baden mit meinen Kindern einen Knoten unter der rechten Achsel festgestellt hatte. Ich hatte daraufhin gleich einen Termin beim Gynäkologen gemacht, der mich erst einmal beruhigte und mir sagte, dass das ein geschwollener Lymphknoten sei. Da ich noch stillte, vermutete er eine verschleppte Brustentzündung. Ich sollte mal drei Wochen abwarten und ansonsten wieder vorbei kommen. Mein Mann machte sich auch keine Sorgen und so erzählte ich auch keinem etwas davon. Ich hatte vier Wochen abgewartet und bin dann nochmals zu meinem Gynäkologen. Diesmal nahm er die Sache ernster und wollte, dass ich mich am Ende der Woche bei seinem Kollegen in der Brustsprechstunde vorstellen soll. Dieser Kollege war Brustspezialist und führte am Freitag den Ultraschall bei mir durch. Bis dahin war ich eigentlich noch sehr gelassen und ging nur vom Besten aus, aber als der Arzt während des Ultraschalls kein Ton mehr sprach, bohrte ich dann doch mal nach und fragte, ob es etwas Ernstes sei? Eine Zyste sei es wohl nicht und alles andere kann man nur durch eine Biopsie bestimmen. Wie groß der Knoten ist, konnte er nicht ganz erkennen, weil mein Gewebe durch das Stillen sehr unregelmäßig war.

Ich ging Heim zu meiner Mutter, um die Kinder abzuholen, sagte aber keinen Ton, da ich sie nicht beunruhigen wollte. Ich ging sofort Heim und setzte mich an den Computer um mir über das Internet Informationen zu holen. Was ist denn eine Biopsie? Was wird da gemacht? Was kann dabei raus kommen? Könnte es tatsächlich sein, dass ich Krebs habe? Ich fand einen Test, der das Risiko an Brustkrebs zu erkranken bestimmen sollte und konnte mich am Ende beruhigt zurück lehnen. Ich war erst 30 Jahre alt, hatte in meinem Leben nicht geraucht, nur ab und an mal Alkohol getrunken, zweimal gestillt und auch in meiner Familie gab es noch kein Unterleibs- oder Brustkrebs. Also die Wahrscheinlichkeit war statistisch sehr gering. Noch ein Grund mehr, die Sache für mich zu behalten und meinen Eltern nichts zu sagen, bis ich Entwarnung geben kann. Meine zwei Schwestern weihte ich ein, da ich die Kinder zwei Wochen später irgendwo unterbringen musste, solange ich mich der Biopsie unterziehen musste. Mein Mann und meine Freundinnen waren auch zuversichtlich, dass bei der Biopsie nichts Bösartiges festgestellt wird.

So saß ich an dem Samstagabend etwas unmotiviert in einem Raum voller Frauen.  Dann aber begann die ehemalige Missionarin zu erzählen, wie sie in jungen Jahren an Brustkrebs erkrankt war und die Ärzte ihr keine Hoffnung mehr gaben. Sie beschrieb, wie sie mit der Diagnose umgegangen ist und wie sie trotz dieser schlimmen Situation immer Gott vertraut hat. Ich war an dem Abend zutiefst betroffen. Es war so, als ob Gott mich an dem Abend auf das vorbereiten wollte, was kommt. Ich ging heim zu meinem Mann und sagte: „Dominik, auch wenn es tatsächlich Krebs sein sollte, will ich es annehmen und es als Gottes Willen akzeptieren.“ Ich fasste für mich den Entschluss, in jenem Fall stark zu sein und Gott ganz zu vertrauen.

Die Biopsie
Die darauf folgenden Tage war ich doch sehr angespannt. Ich blieb verhalten, was meine Terminplanungen anging und wollte doch erst das Ergebnis der Biopsie abwarten bevor ich weitere Zukunftspläne machte. So ging ich am Dienstag, den 28.Februar 2012 mit Herzklopfen zu dieser Biopsie. Bei der Anmeldung wurde mir ein Fragebogen in die Hand gedrückt, den ich ausfüllen sollte. Die Fragen gingen alle in Richtung Krebserkrankung und mir wurde wieder etwas mulmig zumute. Während der Biopsie wollte auch keine auflockernde Stimmung aufkommen. Der Arzt sagte mir, dass egal, was bei der Biopsie heraus käme ,ich operiert werden müsste, da der Knoten einfach zu groß sei. Eine Biopsie an sich läuft so ab, dass unter lokaler Betäubung dünne Röhrchen in die Brust geschossen werden und so Gewebe entnommen wird. Für mich eine sehr schmerzhafte Angelegenheit, da ich in meinem Leben des öfteren die Erfahrung machen musste, dass örtliche Betäubungen nur gering oder sehr kurz wirkten. Erst drei Tage später hatte der Arzt Zeit das Ergebnis mit mir zu besprechen, er stellte mich aber vor die Option, dass ich am Mittwoch oder Donnerstag schon anrufen könnte, wenn ich ihm verspreche, dass dann mein Mann neben mir stehen würde. So ging ich an dem Dienstag mit durchschossener Brust Heim und wusste nicht mehr, was ich glauben sollte. Wird alles gut?

Am Mittwoch wollte Dominik mit meinem Vater zusammen einen Sandkasten für unsere Kinder anlegen. Ab 16 Uhr konnte ich in der Klinik anrufen. Dominik und ich waren beide sehr nervös und wir baten meinen Vater darum, einen Moment auf unsere Kinder zu achten- er wusste nicht Bescheid. Zuerst war ständig besetzt und dann war natürlich noch kein Ergebnis da. Die Ablenkung im Garten mit der Familie tat mir gut.

Am Abend war dann Hauskreis bei uns, so dass ich auch da nicht zu sehr ins Grübeln kam. Danach gingen wir müde ins Bett. 

Die Diagnose
Am nächsten Morgen brachte Dominik Louis in den Kindergarten und machte sich daran den Gartenzaun abzuflexen. Ich war unausstehlich nervös. Morgens musste ich mit Jael noch zur U-Untersuchung zum Kinderarzt. Ich erzählte der Ärztin, dass ich auf ein Biopsieergebnis wartete und auf jeden Fall in der nächsten Zeit operiert werden müsste. Ich wollte von ihr wissen, wie das mit dem Stillen dann weiter gehen könnte. Sie nahm meine Sorge von Anfang an ernst und bot an, dass ich jederzeit zu ihr kommen könnte. Zuerst sollte ich mal mit meiner Hebamme sprechen. Zu Mittag waren wir bei meinen Eltern zum Essen eingeladen, mein Vater war zu der Zeit auch Zu hause, da er noch wegen einer Schulteroperation krank geschrieben war. Ich ging mit Jael schon mal vor, Dominik wollte gleich nachkommen.

Ich stand gerade mit meiner Mutter in der Küche, als Dominik in seinen Dreckklamotten durch die Tür gestürzt kam. Ganz bleich im Gesicht und mit unendlich traurigen Augen sagte er: „Kerstin. Dein Gynäkologe hat gerade angerufen!“ Ich verstand erst nicht, bis er beinahe flüsterte: „ Es ist bösartig!“

Es war der Moment in der aus meiner Ahnung Gewissheit wurde- Krebs- ich habe Krebs!

Dominik nahm mich in seine Arme und meine Eltern standen fassungslos daneben und verstanden nicht, was eigentlich los war. Es dauerte eine Weile bis ich mich beruhigt hatte und meine Eltern aufklären konnte. Wir saßen dann alle am Tisch, keiner konnte etwas essen. Immer wieder liefen mir die Tränen.

Am Freitag sollte ich mit Dominik zur Brustsprechstunde kommen. Ich würde auf jeden Fall Chemotherapie bekommen müssen. Mehr hatte der Arzt nicht gesagt.

Was jetzt? Weiter hatte ich noch nie nachgedacht. Was bedeutet eine Chemotherapie? Ist es vielleicht schon so ernst, dass ich mit dem Schlimmsten rechnen muss? Was wird aus unseren Kindern? Was wird aus unserem Haus, wenn ich im Sommer nicht arbeiten gehen kann? Tausend Fragen stürzten auf einmal auf mich ein. Ich musste raus. Dominik und ich packten Jael in den Kinderwagen und liefen zum Kindergarten um Louis abzuholen. Wir redeten und redeten und versuchten uns klar zu werden, was wir als nächstes tun sollten. Wir beschlossen heute im Garten weiter zu arbeiten und den morgigen Termin abzuwarten.

Als wir am Kindergarten ankamen wurde mir bewusst, dass sich mit einem Mal alles verändert hatte. Ich blieb draußen stehen, weil ich Angst davor hatte, dass mich irgendwer ansprach und ich heile Welt spielen musste. Ich schickte Dominik Louis abzuholen und wartete draußen.

Am Nachmittag arbeiteten Dominik und ich stumm voreinander hin. Ich wollte gerne wissen, was in Dominik vorgeht. Er wollte sich keine Sorgen machen, so lange wir nichts Näheres wussten, sagte er mir immer wieder. Louis spielte glückseelig in seinem neuen Sandkasten. Meine Eltern und meine Schwester kamen. Alle waren ratlos, alle wollten helfen, deshalb stürzten wir uns in die Arbeit.

Ich hatte das Bedürfnis mit jemandem zu reden, der sich mit Brustkrebs auskannte, deshalb rief ich noch am Abend einer Bekannten aus meiner Gemeinde an, die vor 5 Jahren an Brustkrebs erkrankt war. Sie riet mir, mich in der Universitätsklinik behandeln zu lassen, da sie sehr gute Erfahrungen mit einem Professor dort gemacht hatte. Eine zweite Meinung wäre auf jeden Fall wichtig, bevor ich mich für irgendeine Behandlung entscheide.

Als unsere Kinder im Bett waren konnten Dominik und ich uns endlich die Zeit nehmen unsere Gedanken zu ordnen bzw. Dominik hörte mir zu , wie ich meine Gedanken ordnete. Wir müssen beten, dachte ich immer wieder. Die Sache ist mir viele Nummern zu groß. Und das machten wir dann auch. Es tat unendlich gut, zu wissen, dass wir damit nicht alleine waren. Bevor ich ins Bett ging, schlug ich noch das Büchlein "366 Liebesbriefe von Jesus" von Sarah Young auf . Dort stand am 1. März Wort wörtlich: "Wenn es in deinem Leben Dinge gibt oder Gedanken gibt, die dir Angst machen, dann komm zu mir und sprich mit mir darüber. Wende dich in jeder Lage an mich und bringe deine Bitten vor mich. Tue es mit Dank für das, was ich dir geschenkt habe. Sage: "Danke, Jesus, dass sich mir die Gelegenheit bietet, dir noch ein Stückchen mehr zu vertrauen." Wenn du viel Vertrauen in mich hast, bringt dir das viel Segen, darunter auch meinen Frieden. Ich habe versprochen, dir in dem Maß, in dem du vertraust, Heil und Frieden zu schenken."

In der Nacht lag ich wach. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Familientechnisch musste plötzlich alles umorganisiert werden. Je weiter ich dachte, umso mehr Fragen taten sich auf. Ich betete im Grunde nur, dass es bitte nicht so schnell mit mir zu Ende geht. Über den Tod musste ich nicht viel nachdenken. Ich war überzeugt davon, dass der Himmel ein Ort ist, worauf ich mich freuen kann. Meine größte Sorge galt meiner Familie. Ich überlegte mir, was ich meinen Kindern noch alles sagen, was ich Ihnen hinterlassen wollte und überhaupt, was ich in meinem Leben noch erreichen wollte. Bis zum Morgen wurde mir bewusst, dass ich die meiste Zeit nicht so gelebt hatte, wie ich es eigentlich wollte.

Ich dachte auch an Hiob, dem alles genommen wurde und nahm mir fest vor, alles aus Gottes Hand zu nehmen. Das war nicht das Einzigste, was ich mir in der Nacht vornahm. Ich überdachte meine Prioritäten neu und machte mir vor allem Gedanken um meine Kinder. Wie soll ich mit Louis umgehen? Er war gerade mal drei Jahre alt und ich hatte keine Ahnung, wieviel er davon mitbekam. Ich beschloss gleich morgen mit seiner Erzieherin zu sprechen. 

Der Tag danach
Am Morgen machte mich die Ungewissheit ganz verrückt, ich wollte endlich wissen, wie ernst es um mich steht. Ich griff wieder mal zum Spaten und ging in den Garten. Der Garten- ich hatte mich so sehr auf den Garten gefreut. Im letzten Sommer waren wir noch mit dem Haus beschäftigt und ich war hochschwanger gewesen. In diesem Frühjahr wollte ich endlich das Projekt Garten angehen. Es gab sehr viel zu tun und ich hasste es, die Sachen nicht selbst tun zu können. Jetzt wusste ich aber, dass wir im nächsten Jahr wieder mal auf die Hilfe unserer Familie angewiesen sein würden- wer sollte sich denn um unsere Kinder kümmern, wenn ich ausfalle?

Während ich so im Garten stand, kam meine Patentante mir entgegen gelaufen. Sie nahm mich in den Arm und sagte nur: "Ich hab dich lieb". OK- dachte ich, sie weiß Bescheid. Sie hatte einen Hefezopf gebacken und einfach vorbei bringen wollen- ohne große Worte. Ich spürte, die große Unsicherheit aber auch die Herzlichkeit, und wie schwer es für meine Mitmenschen sein musste, mit mir und der Situation umzugehen. Meine Tante ging so schnell wieder, wie sie gekommen war.

Etwas verwirrt stach ich den Spaten wieder in die Erde. Ich wollte in keinem Fall, dass mich meine Mitmenschen in Zukunft meiden oder sogar die Straßenseite wechseln, wenn ich auftauche. Meine Krankheit ganz geheim halten? Das würde am Ende doch nicht funktionieren und würde bedeuten, dass ich mich immer zusammenreißen und allen etwas vormachen müsste. Und schon war der nächste Beschluss gefasst. Ich wollte von vorne rein offen sein und es den Leuten selbst sagen- zumindest den Menschen, die mir nahe stehen, mit denen ich täglich zu tun habe.

Zuerst versuchte ich unseren Pastor zu erreichen, aber der war bis Samstag verreist. Also klingelte ich mit Jael im Arm bei meinen Nachbarn an. Gerade jetzt "zur Gartensaison" liefen wir uns täglich über den Weg. Zudem gehörten die Beiden zu unserer Gemeinde und wir verstanden uns gut. Ich merkte wieder, dass es nicht nur mir schwer fiel, darüber zu reden. Die paar Leute, denen ich anrief waren sprachlos und betroffen. Es viel mir immer schwerer, so dass ich bis am Nachmittag das Vorhaben auf Eis legte.

Um halb fünf fuhren Dominik und ich zur Brustsprechstunde ins 5 km entfernte Breisach. Der Arzt aus dem Krankenhaus wartete schon auf uns und führte uns ins Sprechzimmer. „Es ist ein großer Mist!“- das waren die Worte, die der Arzt immer wieder gebrauchte. Die Biopsie hatte ergeben, dass es sich um einen aggressiven und, schnellwachsenden Brustkrebs handelt. Der Tumor war mit einem Durchmesser von 1,5 cm nicht groß, aber auch nicht klein. Ich sollte schnellstens operiert werden um festzustellen, ob die Lymphknoten schon befallen sind. Um eine Chemotherapie würde ich nicht herumkommen, am Besten noch bevor der Tumor entfernt wird. So könnte unter der Chemotherapie beobachtet werden, ob der Tumor darauf anspricht. Der Arzt nahm sich sehr viel Zeit für unsere Fragen. Einige Punkte blieben noch ungeklärt, weil die Histologie noch nicht vollständig war. Die Grundbotschaft des Arztes war aber trotz allem, dass der Krebs heilbar ist. Wenn ich mich der Therapie unterziehe, hätte ich eine Überlebenschance von 87 %. (Man zählt zu den "Überlebenden", wenn man 5 Jahre danach noch lebt!). Der Arzt könnte mich nicht operieren, da er im Anschluss an das Gespräch in Urlaub fahren würde. Er konnte mir erst in zwei Wochen einen OP-Termin anbieten und verwies mich in der nächsten Woche an eine Kollegin. Wir sagten ihm, dass wir uns gerne in der Universitätsklinik eine zweite Meinung einholen würden. Er stimmte uns zu, gab uns aber zu bedenken, dass die Wartezeiten dort mehrere Wochen betragen würden.

Nach einer Stunde verließen wir die Praxis. Im Auto legte ich jeden Satz des Arztes auf die Goldwaage und versuchte zu deuten, wie er den einen und anderen Satz gemeint hat. Zum Glück war Dominik dabei gewesen, der mehr auf die guten Botschaften geachtet hatte. Bis wir bei meinen Eltern angekommen waren, um die Kinder abzuholen, waren wir uns einig, dass die Grundbotschaft des Arztes trotz allem hoffnungsvoll war. Eine zweite Meinung wäre uns Gold wert gewesen. Doch war dafür noch Zeit? Es hörte sich alles so dringend an! Ich brannte darauf, ins Internet zu gehen und meinen G3-Tumor zu googeln und mir eine eigene Meinung zu bilden. Das tat ich dann zu später Stunde auch, mied es aber irgendwelche Forenbeiträge zu lesen.

Ich würde Jael in einer Woche schon nicht mehr stillen können, da sie mir eine radioaktive Substanz in die Milchgänge spritzen mussten um den Wächterlymphknoten zu markieren. Da sie in der Nacht noch zwei-dreimal trinken wollte, mussten wir ihr das als Erstes abgewöhnen. Für die Nacht quartierten wir Louis aus zu meiner Schwester, ich legte mich in sein Bett und Dominik stellte sich mutig der Herausforderung Jael ohne Trinken durch die Nacht zu bringen. Ich machte auch diese Nacht kein Auge zu, hatte aber mit Stift und Block neben dem Bett vorgesorgt.

In dieser Nacht erstellte ich mir eine To-Do-Liste. Erst einmal überlegte ich, was ich vor der OP und der Chemo noch alles erledigen wollte. Im April wollten wir eigentlich die Segnung von Jael feiern, was unter den Umständen keine gute Idee war. Also wollte ich, wenn es so kurzfristig noch möglich war, die Segnung schon auf den Sonntag in acht Tagen vorverlegen. Dazu mussten wir erst einmal die Verwandten, Paten, den Pastor und den Partyservice befragen. Unbedingt musste ich auch Kontakt zu meiner Hebamme aufnehmen. Ich hatte jene Nacht sehr mit meinem Milcheinschuss zu kämpfen und hatte Angst vor einer Brustentzündung. Außerdem wollte Jael nicht aus der Flasche trinken und essen konnte sie auch noch keine großen Mengen. Dann wollte ich parallel noch versuchen in der Universitätsklinik einen Termin zu bekommen. Vielleicht könnte ich die Weiterbehandlung an der Uni durchführen? Ich betete einfach nur für Weisheit und die richtigen Ratschläge bei der Sache. Um fünf Uhr stand ich auf.
Die "Warum-Frage"
Am Morgen versuchte ich den Pastor zu erreichen und vereinbarte mit ihm, dass er am Nachmittag vorbei kommen sollte. Parallel befragte ich meine Familie wegen der Familienfeier am nächsten Sonntag. Alle sagten zu. Am Vormittag half mein Mann beim Umzug meiner Schwester und ich versuchte meine Hebamme zu erreichen. Diese war aber an dem Wochenende auf einer Fortbildung und ich erreichte sie nur auf dem Handy. Obwohl wir nur kurz sprachen, gab sie mir gleich den Rat: „Kerstin, geh in die Uni!“ Ich hatte sie nicht darum gefragt. Danach rief ich bei einer Bekannten aus meinem Wohnort an, die auch Hebamme war. Ina wollte vorbei kommen, sobald sie daheim weg konnte. Als Jael schlief setzte ich mich an den PC und verfasste einen Brief an den Professor, den mir die Bekannte empfohlen hatte und bat um einen Termin. Bis am Mittag hatte ich einiges erledigt. Dann kam Ina mit einem Packen Gläschen und Milchvarianten zum Ausprobieren. Sie machte mir vor allem Mut, dass Jael nicht verhungern würde, sollte sie die Flasche weiter verweigern. Jael sollte von jetzt an so oft es geht von anderen gefüttert werden.

Um 14 Uhr kamen der Pastor und Dominik. Wir klärten ihn auf. Er war wirklich ein guter Seelsorger, hörte unseren Sorgen zu und betete für uns. Ich erklärte ihm, dass ich vor dem Sterben keine Angst hätte, aber davor, dass es ganz schnell mit mir zu Ende gehen könnte. Er sagte mir: Das wird nicht passieren! Er sagte das so bestimmt und ich glaubte ihm jedes Wort. Mein Herz wurde ab dem Moment leichter. Am Ende vereinbarten wir, dass die Segnung von Jael nächsten Sonntag stattfinden sollte. Wir äußerten auch den Wunsch, dass alle Geschwister für uns beten und dies im Gottesdienst auch abgekündigt werden sollte.

Am späteren Nachmittag ging ich mit den Kindern bei meiner großen Schwester Miriam vorbei. Dort saß eine ganze Mannschaft Frauen, die sich bereit erklärt hatten noch ein paar Wände zu streichen, beim Kaffee. Darunter war auch eine Krankenschwester von der Uniklinik, die nochmals die Uniklinik in höchsten Tönen lobte. OK, Gott! Das ist jetzt deutlich genug. Ich werde auf jeden Fall versuchen zur Uniklinik zu wechseln, sobald es geht.

So langsam klärten sich die Dinge. Es konnten auch alle zur Segnung nächste Woche kommen. Meine Schwiegereltern wussten davon allerdings noch nichts. Die waren gerade auf einer Rundreise in Israel und kamen erst am Montag wieder Heim.

Meine jüngere Schwester hatte uns angeboten an dem Abend unsere Kinder zu hüten. Wir wollten vor der vor uns liegenden Zeit noch einen schönen Abend zu zweit verbringen und machten uns gerade fertig, als plötzlich meine Cousinen mit einem großen Obstkorb vor der Tür standen. Es machte mich sehr dankbar zu wissen, dass unsere Familie so intakt war und wir auf jeden zählen konnten.

Der Kinofilm war genau das Richtige um uns ein bisschen abzulenken. Wir mussten immer wieder vor uns hin kicheren und genossen den Humor der Darsteller, von denen einer im Rollstuhl saß.

In der Nacht- schlief ich durch. Ich hatte keine Knoten mehr im Kopf und einen ganz tiefen Frieden über der Situation. Jael schlief in dieser Nacht auch schon viel besser und wurde nur einmal wach.

Die Frage "Warum?" hat mich zu der Zeit weniger beschäftigt, bemerkte aber an den Reaktionen meiner Mitmenschen, dass sich einige mit der Frage quälten. Ich hatte schon lange vorher aufgehört Gott diese Frage zu stellen. Es ist mehr die Frage "Wozu?" Und diese Frage, kann immer erst im Nachhinein beantwortet werden.

Ein kleines Wunder
Am Montag erwachte Louis mit Fieber und musste aus dem Kindergarten daheim bleiben. Statt im Internet herum zu hängen oder zu telefonieren war ich an dem Tag ganz mit meinen Kindern beschäftigt. Ich wollte mir auch gerade jetzt viel Zeit für sie nehmen. Um 11 Uhr sah ich mal meine E-Mails durch und entdeckte eine Nachricht von dem Professor aus der Uniklinik. Er wollte, dass ich schon am nächsten Tag zu seiner Sprechstunde komme. Hallelujah! Ich war völlig aufgelöst, dass das jetzt noch geklappt hatte, dass ich mir vor der OP eine zweite Meinung einholen konnte! Danke Herr!

Am Abend sollten meine Schwiegereltern wieder von ihrer Rundreise zurückkehren. Wir baten sie, noch am Abend bei uns vorbei zu kommen. Die Kinder waren schon im Bett, als sie kamen.

Zu unserer Überraschung nahmen sie die Nachricht sehr gefasst auf. Vielleicht lag es daran, dass mein Schwiegervater selbst an Krebs erkrankt war als Dominik gerade mal zwei Jahre alt war. Ihre Erfahrung war, das Krebs nicht gleich Tod bedeutete. In meiner Familie war der Krebs dagegen bei dreien meiner Großeltern tödlich verlaufen. Helmut hatte damals auch Chemotherapie bekommen, was damals einer Nahtoderfahrung glich. Deshalb war es auch verständlich, dass sie sich von da an vor allem über alternative Heilmethoden informierten und mich mit Literweise Rotebeetesaft versorgten.

Die "Zweitmeinung"
Dienstagmorgen stieg ich ganz nervös in den Zug nach Freiburg. Ich war gespannt auf das, was der Professor dazu sagen würde. Ich betete an dem Morgen dafür, dass ich weiter Klarheit bekommen würde und am Ende durch die zweite Meinung nicht verunsichert werden wollte.

Während des Gespräches kristallisierte sich heraus, dass sich die Meinungen der beiden Mediziner eins zu eins deckten. Bei "dreifach-negativem Brustkrebs" blieb nur die Chemotherapie als Therapieform. Da auch diese Therapie nicht immer anschlägt, wird der Tumor unter der Chemo beobachtet, ob er kleiner wird. Er erklärte mir, dass eine schnelle OP des Wächterlymphknotens das A und O sei und er mich noch diese Woche operieren könnte.

Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Die Segnung am Sonntag viel mir ein, deshalb fragte ich, ob er mich auch die Woche darauf operieren könnte. Er telefonierte mit seiner Sekretärin, verschob ein paar Termine und so schaufelte er mir einen OP-Termin für Montag frei. Am Donnerstag sollte ich das Anästhesiegespräch in der Uniklinik haben und die Voruntersuchungen durchlaufen.

Was für ein Wunder- danke Herr. Ich fühlte, wie Gott die Sache in die Hand nahm und konnte nur staunen, wie sehr ich mich auf ihn verlassen konnte. Ich hatte noch einige Dinge, die mir Sorgen machten- aber ich fühlte mich damit nicht mehr alleine. Ich musste schon in einer Woche ins Krankenhaus, bis dahin sollte Jael abgestillt sein. Bisher machte sie keine großen Fortschritte. Sie verweigerte alles. Auch an diesem Vormittag, wo sie bei meiner Mutter war, konnte sie der Flasche und dem Brei nichts abgewinnen. Wir überlegten gemeinsam, dass es wohl am besten wäre, wenn Jael langsam von mir entwöhnt würde, indem ihr immer jemand anderes die Flasche gab. Am Donnerstag musste ich eh jemanden für die Kinder haben und am Freitag übernahmen meine Schwiegereltern die Schicht. Leider bekam Dominik für nächste Woche nicht frei und auch unsere Eltern mussten arbeiten, deshalb musste ich bald eine Dorfhelferin organisieren.

Ein guter Tag

In dieser Nacht schlief Jael das erste Mal durch. Louis hatte wieder Fieber und musste daheim bleiben. Es war herrlichstes Frühlingswetter und ich muss sagen dass der Mittwoch insgesamt ein sehr schöner Tag war, den ich mit den Kindern größtenteils im Garten verbrachte.

Am Abend kam unser Pastor mit einem Gemeindeältesten zum Beten. Es war eine ganz neue aber sehr schöne Erfahrung für uns. Bevor sie wieder gingen übergab mir der Pastor ein Losvers, den er an dem Abend für mich gezogen hatte. Er steht in Psalm 18,7: "Als mir Angst war, rief ich den Herrn an und schrie zu meinem Gott. Da erhörte er meine Stimme von seinem Tempel, und mein Schreien kam vor ihn zu seinen Ohren. " Mir fiel mein Losvers für dieses Jahr ein: "Der Herr ist meine Stärke und mein Lobegesang und ist mein Heil " 2. Mose 15,2. Darunter ein Vers von Ludwig Andreas Gotter "Herr, verleih mir Stärke, verleih mir Kraft und Mut; denn das sind Gnadenwerke, die dein Geist schafft und tut."

Es war mir fast unheimlich, wie gut die Bibelworte zu meiner Situation passten. Ich spürte, die Kraft und den inneren Mut und wusste, dass beides nicht von mir kam. Das waren die Gebete unserer Geschwister. Seit meine Erkrankung am Sonntag im Gottesdienst abgekündigt worden war, war unser Briefkasten voll mit Karten und Briefen und vielen ermutigenden Worten und Bibelversen. Überall wurde uns Hilfe angeboten. Es tat einfach gut. Auch per Mail bekam ich viel Post von meinen Arbeitskollegen und Innen. Ich begann mich auf den Sonntag und den Gottesdienst zu freuen und lud alle dazu ein, denen ich begegnete. Es sollte noch einmal ein richtig schöner Tag werden. 

OP-Vorbereitungen
Am Donnerstag wurde ich für einen Tag stationär in der Uniklinik aufgenommen. Mit einer Akte unter dem Arm wurde ich durch die ganze Frauenklinik geschickt. Blutabnahme, EKG, Lungeröntgen und Anästhesiegespräch. Beim Röntgen traf ich meine Bekannte aus der Gemeinde, die auf ihr Nachsorgeergebnis wartete. Sie war ziemlich nervös. Ich konnte leider nicht mit auf ihr Ergebnis warten, wollte sie aber Zuhause anrufen. Während ich so am Warten vor den verschiedenen Sprechzimmern war, dachte ich so darüber nach, wie gesund ich mich eigentlich fühlte und irgendwie nicht glauben konnte, dass ich Krebs hatte. Das Wort "Krebs" ging mir auch noch nicht über die Lippen.

Zuhause lief dann alles wieder seinen Gang. Ich versuchte, noch ein bisschen liegen gebliebene Sachen aufzuarbeiten, bevor ab nächster Woche eine Fremde meinen Haushalt weiter führen sollte. Unsere Eltern waren beinahe jeden Tag da und packten mit an. Es gab noch genügend Baustellen, so dass jeder beschäftigt war- und das war gut so. Am Abend verfasste ich meinen ersten Newsletter an meine Feunde und Kollegen.

Jael's Segnungsfeier
Am Samstagmorgen erwachte Jael mit Fieber. Auch meine Mutter war sehr angeschlagen. Was jetzt? Hoffen, dass das Fieber morgen wieder weg ist oder alles absagen?

Am Abend feierte mein Schwanger noch seinen 30.Geburtstag, wo wir auch noch vorbei wollten. Es war das erste Mal, dass ich in die "Öffentlichkeit" ging. Mein Freundeskreis war zwar nicht vertreten, aber einige Bekannte sprangen herum. Keiner sprach mich an, einige gingen mir sogar aus dem Weg. Die Meisten redeten mit Dominik darüber und wenn ich dazu kam, wurde das Thema gewechselt. Tja, ich kann es irgendwie auch verstehen, wenn man sich nicht so gut kennt. Ich weiß nicht, wie ich damit umgegangen wäre. Deshalb aber ab jetzt Zuhause bleiben, wollte ich auch nicht.

In den kommenden Monaten habe ich es von meiner Stimmung abhängig gemacht, ob ich zu solchen Festen ging. Dadurch, dass ich die Öffentlichkeit aber nicht mied, merkten die Leute aber, dass es mir psychisch gut geht und das hatte es ihnen wiederum leichter gemacht, auf mich zu zu gehen.

Sonntag! Jael hatte leider immer noch Fieber und auch meine Mutter lag jetzt komplett auf der Nase. Trotzdem freuten wir uns auf den Gottesdienst, auf die Gemeinde, unsere Freunde und ein Tag mit der ganzen Familie.

Unser Hauskreis und einige Freunde überraschten uns mit einem Lied und nach der Lobpreiszeit wurde Jael gesegnet und es wurde für uns gebetet. Einige von meinen Freundinnen und Bekannten haben sich einladen lassen, es war schön, sie alle nochmal zu sehen.

Der restliche Tag war durch Jaels Fieber eher anstrengend. Sie trank umso mehr von meiner Brust, lies sich auf nichts anderes ein. Ok, dann muss sie es auf die harte Tour lernen, wenn ich morgen nicht mehr da bin, dachte ich. Ich machte mir aber Sorgen, dass sie gerade in ihrer Krankheit leiden würde, wenn ich am nächsten Tag schon nicht mehr für sie da bin.

Der Krankenhausaufenthalt

Am frühen Morgen musste ich schon in der Klinik sein. Der Op-Termin war um 11 Uhr. Davor wurde mir noch in der Nuklearmedizin eine radioaktive Flüssigkeit in die Brust gespritzt, die den Wächterlymphknoten markieren sollte. Das tat zum Glück nicht so weh. In dieser Klinik liefen nur weißhaarige Ärzte herum. Haben die vielleicht zu viel von ihren Mittelchen abbekommen??

Um 11:45 Uhr ging es in den OP. Wie es in einer Uniklinik eben so ist, durfte erst einmal ein Praktikant versuchen mir einen Zugang zu legen. Nach ein paar Versuchen war meine Schmerzgrenze erreicht und ich wollte nicht mehr. Der Profi übernahm, die Vene rollte trotzdem weg. So langsam stiegen mir die Tränen in die Augen. Endlich war er drin und ich hoffte nur noch, dass die Narkose bald wirkte.

Nach einer Stunde war alles überstanden, ich spürte nur meinen Unterarm nicht mehr. Während meines Aufenthaltes im Krankenhaus sollte noch eine Leber-Sonographie und Knochensintigraphie erfolgen. Gespräche mit dem Sozialdienst, Psychologen und dem Chemoarzt standen an. Zwischendurch bekam ich viel Besuch, so dass ich die meiste Zeit beschäftigt war. Gegen den Milchfluss musste ich Tabletten schlucken und stramm gewickelt werden. Die Schmerzen von den prallen Brüsten machten mir anfangs mehr zu schaffen, als die OP-Wunde und sorgten für schlaflose Nächte ( Schade, ich hatte mich schon auf die Nächte ohne Kinder gefreut.)

Ich teilte das Zimmer mit einer 42-jährigen Frau, die einen Brustaufbau hinter sich hatte. Sie war eine alleinerziehende Mutter mit einer 11-jährigen Tochter. Die familiären Verhältnisse waren im Vergleich zu meinen eher schwierig. In ihrem Umkreis wussten nur die engsten Bekannten Bescheid. Da sie sich keiner Chemotherapie unterziehen musste, war das auch eher möglich.

Immer wieder kam ich in den Tagen ins Nachdenken, wie schlimm es für mich wäre, wenn wir in unserer Ehe keinen Dritten hätten, an den wir uns wenden könnten. Mein Mann kann mir meine Angst nicht nehmen, er kann mir in der OP nicht beistehen, er kann durch seine Arbeit nicht immer für mich da sein, wenn es mir nicht gut geht. Selbst wenn er es wollte. Hätte ich Gott nicht gehabt, ich hätte eine Megaangst gehabt und hätte meine Familie damit wahrscheinlich total überfordert.

Am Dienstag stand das Gespräch mit dem Klinikpsychologen an, einem sehr angenehmen Mann, Weihnachtsmann-Typ. Seine Fragen waren sehr direkt: "Nimmt ihr Mann sie in den Arm?" "Wie ist er mit ihrer Sorge umgegangen, als die Diagnose noch nicht gestellt war?" Am Ende des Gespräches legte er seinen Stift ab und gab mir die Hand. "Herzlichen Glückwunsch Frau Bühler!"Der Psychologe erzählte mir, dass ich mich glücklich schätzen könnte, dass mein Mann von Anfang an an meiner Seite war. Ein paar Zimmer weiter, wurde die Frau von ihrem Mann und ihrem Sohn alleine gelassen. Außerdem würden 70 Prozent der Erkrankten in eine Depression fallen, was er bei mir nicht erkennen kann. Einen Tipp wollte er mir trotzdem noch geben: "Überlegen Sie sich, womit sie sich belohnen könnten. Erfüllen sie sich einen großen Traum." Was könnte das sein? Als aller Erstes viel mir eine Töpferscheibe ein. Geht im Moment aber nicht, ist viel zu teuer. Gebrauchte Drehscheiben waren rar. Ich hatte schon öfters bei ebay nachgeschaut. Was anderes viel mir aber beim besten Willen nicht ein.
 
Das Gespräch mit dem Chemoarzt war am Nachmittag, als ich gerade lieben Besuch von meinen Freundinnen hatte. Der Assistenzarzt sprach mit starkem Akzent und ich musste mich konzentrieren, was er mir überhaupt erzählte. Bei den Nebenwirkungen schaute er mal kurz von seinem Protokoll auf, guckte meine Haare an und sagte: "Die Haare fallen auf jeden Fall aus- sie haben schöne Haare, aber sie fallen aus!" Amüsiert über diese Bemerkung lehnte ich mich zurück in den Stuhl, aber es wurde noch besser, als er mir den Port erklärte: "Der Port wird überhalb des Schlüsselbeines implantiert, sie sind zum Glück nicht ganz schlank, da sieht man ihn nicht." Na, der Arzt weiß, wie man seine Patientinnen aufbaut. Ich hatte von der Schwangerschaft noch ein paar Kilos übrig und sowieso schon daran zu knabbern. Das Gespräch war schnell beendet und ich konnte mich wieder meinen Freundinnen widmen. Die Sonne schien und wir genossen die Frühlingssonne auf dem Balkon.

Am Mittwoch wartete ich vergeblich auf mein Lebersono und die Knochensintigraphie. Ich wollte unbedingt Heim! An diesem Morgen hatte Jael, Dominik zu folge, das erste Mal die Flasche angelacht und sie in einem Zug leer getrunken! Heute kam die Dorfhelferin den ersten Tag und ich wusste nicht, wie meine Kinder auf sie reagieren würden. Am Nachmittag besorgte ich mir bei der ambulanten Chemotherapie verschiedene Broschüren und stattete dem Büro von "Tigerherz" einen Besuch ab und bekam Bücher vom Chemozwerg für Louis geschenkt. Am Abend war klar, dass ich noch eine Nacht bleiben musste, weil die Knochensinti morgen erst durchgeführt werden sollte. Ich war ganz nervös, wie die Dorfhelferin sich am ersten Tag geschlagen hat. Ich rief meine Mutter und fragte, sie aus. Begeisterung klang anders. Mit Jael hat es wohl gut geklappt aber Louis wollte anscheinend nichts mit ihr zu tun haben. Ich wollte Heim!!!

Am nächsten Morgen bekam ich wieder ein radioaktives Mittel in die Venen gespritzt. Danach wurden die Aufnahmen gemacht. Ich konnte es nicht erwarten meine Sachen zu packen, aber ich musste das Arztgespräch noch abwarten. Der Arzt kam und setzte sich mit seinem Stuhl in die andere Ecke des Raumes. Er erklärte mir, dass er nicht ohne Grund so weit von mir entfernt sitzt, da ich noch "strahle". Auf keinen Fall sollte ich heute in die Nähe meiner Kinder kommen und besser noch eine Nacht bleiben. Das gibt es doch nicht!!! So langsam bekam ich den Frust und unendliches Heimweh nach meinem Baby und meinem Großen. Wenigstens konnte ich an dem Tag das Herzecho beim Kardiologen noch erledigen.
 
Die Chemo sollte starten, sobald der Port implantiert war. Der Termin für das Implantat wurde auf Mittwoch gelegt, erste Chemo auf den Donnerstag. Arztgespräche, Blutuntersuchung, Lebersonographie und MRT standen für Montag an. Ich musste mich mit der Krankenkasse in Verbindung setzen und mir ein Taxi für die Chemo organisieren. Aber jetzt wollte ich erst einmal Heim, um mir die Dorfhelferin anschauen.

Endlich wieder Zuhause
Mein Schwiegervater kam mit Jael um mich abzuholen. Sie war bei der Fahrt eingeschlafen. Als sie aufwachte, lachte sie und mir ging das Herz auf. Erst auf den zweiten Blick sah ich ein kleines Zähnchen blitzen: das erste Zähnchen! Als ich Zuhause die Tür aufschloss, kam mir eine burschikose Frau entgegen und stellte sich mir als die Dorfhelferin vor. Sie lies sich vom Putzen nicht groß aufhalten und schwang weiter den Putzlappen, während ich mit Jael kuschelte. Mal schauen, dachte ich. Bloß nicht so schnell urteilen. Am weiteren Vormittag erzählte sie unentwegt von ihrem Langzeiturlaub in Übersee, bei dem sie in einer kinderreichen Familie ausgeholfen hatte. Normalerweise hätten mich die Zustände dort auch interessiert, mir war aber mehr danach unsere Verhältnisse hier zu klären und ihr etwas über meine Kinder und unseren Familienablauf zu erzählen. Beim Mittagessen staunte ich wieder: Jael konnte ja sitzen! Kaum ist man mal vier Tage weg, macht das Mädel einen riesigen Sprung. Wir unterhielten uns weiter und weiter und weiter. Kaum hatte ich einen Satz beendet, wusste sie auch etwas zu erzählen. Ich bekam zu hören, dass Sie am liebsten dort geblieben wäre, wo sie wirklich gebraucht wurde und dass sie sobald wie möglich wieder dort hin wollte. Die gute Frau war noch gar nicht richtig angekommen und ich spürte, dass ihre Arbeit sie im Moment nicht sehr erfüllte. Als Jael ihren Mittagschlaf hielt flüchtete ich nach oben. Am Nachmittag musste ich Louis aus dem Kindergarten abholen. Da ich Jael nicht mit der Dorfhelferin allein lassen wollte, nahm ich alle mit. So spazierten wir Richtung Kindergarten. Die Dorfhelferin schob den Kinderwagen wie einen Einkaufswagen. Louis freute sich riesig mich zu sehen, schaute aber gleich ganz erschrocken als er die Dorfhelferin sah: "Warum muss die Frau da sein?" "Louis, die Frau hilft der Mama und macht uns feines Essen." Die Begrüßung der beiden fiel eher frostig aus, aber die Dorfhelferin schien das nicht zu stören. Sie schob energisch den Einkaufswagen nach Hause und widmete sich der Hausarbeit. Na, das kann was werden. Aber aller Anfang ist schwer. Ich war froh, als Abend war und sie nach Hause ging. Endlich alleine mit der Familie!

Am Wochenende zermarterte ich mir das Hirn, eine Alternative für die Dorfhelferin zu finden. Von meiner Mutter oder Schwiegermutter konnte ich es nicht verlangen, da sie eigene Jobs hatten und andererseits wusste ich auch nicht, ob ich das gewollt hätte. Ich hatte in der nächsten Woche viele Arzttermine und leider keine andere Wahl, als es weiter mit ihr zu versuchen.

Rein körperlich ging es mir an dem Wochenende schon recht gut. Ich musste mich immer wieder selbst disziplinieren, dass ich Jael wirklich nur mit dem linken Arm hielt. Lange konnte ich das nicht, was sie natürlich nicht verstand. Da ich schon nächstes Wochenende aufgrund der Chemo ausfallen würde, betreute ich die Kinder und Dominik arbeitete mit den Männern der Familie im Garten. Am Sonntag wollten wir mit der Familie meiner Schwester einen Ausflug zum Tierpark machen, was aufgrund des Regens eine nasse Angelegenheit wurde. Aber wir genossen jede Minute. Die Tage bis zur Chemo waren gezählt und ich konnte nicht wissen, wie es mir danach ging. Heute fühlte ich mich noch fit und gesund, wer weiß, wann das wieder so sein wird?

Am Sonntagabend verfasste ich den Newsletter No:02

Der Newsletter kam bei meinen Freunden sehr gut an. Alle wussten Bescheid, was bei mir als nächstes anstand, ich musste nicht so viel telefonieren und konnte meine Aufmerksamkeit meiner Familie widmen. Ich beschloss, das beizubehalten.

Die Dorfhelferin
Am Montag gab ich der Dorfhelferin eine neue Chance. Als ich müde war, rang ich mich dazu durch, ihr Jael zu überlassen und mich hinzulegen. In meinem Bett bekam ich aber kein Auge zu. Ich konnte mein schlechtes Gefühl einfach nicht verdrängen. Es gab nichts an ihr auszusetzen, sie war nicht faul oder so, aber sie blieb mir gefühlsmäßig fremd. Nach 40 Minuten raffte ich mich wieder auf und übernahm Jael. Am Nachmittag versuchte ich Louis aus seiner Reserve zu locken. Er zog sich aber vollkommen zurück und unterhielt sich mit mir nur noch im Flüsterton. Ich versuchte weiter zwischen den beiden zu vermitteln, aber die Dorfhelferin schien es wohl auch nicht zu stören und beschäftigte sich einfach nur mit Jael. Braucht Louis einfach nur noch etwas Zeit? Oder sollte ich nochmals zur Einsatzleitung gehen, und um einen Tausch bitten? Wer sagt mir aber, dass Louis die andere Dorfhelferin besser gefällt? 

Am Nachmittag konnte ich die Kinder zu meiner Mutter bringen. Ich musste nach Freiburg ins Krankenhaus, um die Kernspintomographie durchführen zu lassen. Diese Aufnahme brauchte ich, weil mein Brustgewebe durch das Stillen sehr unregelmäßig war und die Größe des Tumors durch einen Ultraschall nicht erkennbar war. Danach ging ich zu meiner Krankenkasse, holte Formulare für das Taxi zur Chemo und für die Dorfhelferin. Das MRT gehörte auch nicht zu den Leistungen, die die Krankenkasse übernahm, deshalb legte ich Einspruch ein. Ich informierte mich gleich auch noch, über Alternativlösungen zur Dorfhelferin, aber solange ich keine Privatperson zur Verfügung hatte, blieb mir keine andere Wahl. 

Am Abend hatte ich den Termin bei meinem Operateur. Er hatte gute Neuigkeiten. Die Lymphknoten waren alle sieben noch nicht befallen! Gott sei Dank! Eine weitere Operation blieb mir erspart und auch die Heilungschancen stiegen dadurch an. Beschwingt fuhr ich nach Hause zu meiner Familie.

Dienstag
Heute morgen war ich bei meinem Hausarzt zur Blutentnahme und Lebersonographie. Jael lies ich bei der Dorfhelferin. den restlichen Vormittag unterhielt ich mich wieder mit ihr. Und wieder hatte ich den Eindruck, dass sie sich für unsere Familie wenig interessiert. Am Nachmittag fuhren wir mit Louis zum Kinderarzt. Auf der Fahrt erzählte die Dorfhelferin mir stolz, dass sie schon MB-Trucks gefahren ist. Das passt, dachte ich nur. Dadurch, dass sie keine eigenen Kinder hatte, verstand ich auch, dass sie zwei Kleinkinder auf einmal ganz schön überfordern musste. Nach dem Kinderarzttermin, als wir wieder im Auto saßen sagte sie zu mir, dass sie noch nie so ein introvertiertes Kind, wie Louis gesehen hätte. So, das reicht, das hat alles keinen Zweck. Ich sagte ihr, dass genau das mir extreme Sorgen machen würde. Am Donnerstag fängt die Chemotherapie an und ich musste mir sicher sein, dass es meinen Kindern gut geht, sonst könnte ich die Chemo nicht durchhalten. Ich sagte ihr, dass ich zwar keine Garantie hätte, dass es mit einer anderen Dorfhelferin besser klappen würde, aber ich wollte es gerne probieren. Endlich war es ausgesprochen. Es war mir sehr schwer gefallen, ihr das zu sagen. Aber als es raus war hatte ich den Eindruck, dass auch sie erleichtert war. Kaum Zuhause, rief sie schon ihre Kollegin an, ob sie baldmöglichst tauschen könnten. Schon am Donnerstag könnte die Andere kommen. Ich war soo happy.

Mittwoch
Schon am frühen Morgen stand ich wieder am Bahngleis und wartete auf den Zug nach Freiburg. Heute sollte ich den Port implantiert bekommen. Ich wusste im Grunde gar nichts über den Eingriff, nur dass ich anschließend  abgeholt werden musste. Und wieder lief mir meine Bekannte aus der Gemeinde über den Weg, sie wollte auch nach Freiburg. Sie erklärte mir erst einmal, was der Port genau ist und dass da eine richtige OP vor mir stand. Aha! War ich froh, dass ich sie vorher noch getroffen hatte, sonst wäre ich völlig unvorbereitet gewesen auf das, was da kam. 

In der Praxis meldete ich mich an und wurde in den Keller geschickt. Nach langem Warten wurde ich in ein Zimmerchen mitgenommen. Dort wartete ich und wartete und wartete. Es war ein kleines Zimmerchen ohne Fenster. Nach 30 Minuten steckte einmal ein Anästhesiearzt die Nase herein, verschwand aber gleich wieder. Nach einer Stunde kam dann mal eine Schwester, die mir die OP- Kleidung gab. Ich zog sie an und frohr erbärmlich. Dann kam der Anästesiearzt und der Chirurg. Alles Routine, ich sollte mir keine Sorgen machen. Nach zwei Stunden Wartezeit durfte ich im OP-Kittelchen halb-nackt am Wartezimmer vorbei in den OP-Saal laufen und mich auf die OP-Liege legen. Ich kam mir vor, wie ein Schwein, das zum Metzger getrieben wird. Unter meiner Liege klebte das Blut von meinem Vorgänger. Alle schienen mit ihren Vorbereitungen beschäftigt zu sein, keiner beachtete mich. Nicht sehr vertrauenserweckend hier. Aber dann wurde mir eine Infusion gelegt und mir wurde schummrig vor den Augen. Als ich aufwachte, gaben sie mir eine gefühlte Minute um mich wieder zu orientieren, dann musste ich selbst aufstehen zu zu meinem Zimmerchen zurück laufen. Ich hatte wacklige Beine. Im Warteraum saß die Dorfhelferin mit Jael und hatte Zeitdruck. Deshalb zog ich mich schnell an, musste aber wieder einmal lange warten, bis ein Arzt mir die letzten Instruktionen für den Port mitgab. Die Nadel für die morgige Chemo hatten sie schon gesteckt und ein großes Pflaster drauf geklebt. Ich sah die Narbe nicht, aber spürte sie deutlich. Jetzt durfte ich Jael gar nicht mehr heben.
Endlich wieder Zuhause fiel die Verabschiedung von der Dorfhelferin ganz kurz aus, war mir aber ganz recht. Zu meinem Glück wohnt meine große Schwester auch im selben Ort, so dass sie sich am Nachmittag um Jael kümmern konnte. Die Nacht war äußerst schwierig. Ich lag auf meinem Rücken und wollte mich nicht mehr bewegen. Ich war nervös und gleichzeit auch neugierig, was die Chemo morgen bei mir auslösen würde. Außerdem war ich unheimlich erleichtert, dass morgen die neue Dorfhelferin kam.

Wie es weiter ging, könnt ihr in meinem Newsletter erfahren....

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen